Erkunden Militärischer Landschaften
Auch in und um Tübingen prägt das Militärische eher unauffällig die Landschaft. Die Südstadt wird von ehemaligen Kasernen dominiert, viele links-alternative Hausprojekte sind in ehemaligen Militärgebäuden untergekommen. Im "Sand", einem ehemaligen Militärkrankenhaus, finden sich heute Lehrstühle der Informatik und der Kriminologie. Am sog. "Panzerweg" hinter der Wagenburg, der u.a. zu einem verfallenem Schießstand führt, warnen Schilder vor Munitionsresten. Weite Teile der Altstadt und der Nackarufer sind unterkellert, in einigen Bunkern aus Zeiten des Kalten Krieges werden bis heute haltbare Lebensmittel bereitgehalten.
Um Tübingen herum, an der B27 vor Dußlingen und der B28 beim Industriegebiet West weisen rot-weisse Pfeiler auf den Verlauf der NATO-Pipeline hin, die u.a. über ein Bundeswehrdepot bei Bodelshausen führt. Auch hier wird vor Schusswaffengebrauch gewarnt, an der Hauptpforte jedoch ist nur das Schild des privaten Betreibers, der "Fernleitungs-Betriebsgesellschaft mbH" angebracht, dahinter zivile Baumaschienen bei der Arbeit. Bei Wendelsheim finden auf bewirtschafteten Feldern Übungen der Fallschirmspringer statt. Knapp 20 Kilometer nördlich, am anderen Rande des Schönbuchs, wurde in den Kelly Barracks das Hauptquartier der US-Streitkräfte für Afrika (AfriCom) eingerichtet, über das Drohnenangriffe u.a. in Somalia koordiniert werden. Das Gelände ist zwar umzäunt, wirkt aber ansonsten mit seinen zahlreichen Sportanlagen und Grillplätzen durchaus einladend und wenig kriegerisch - ebensowenig wie die zahlreichen für das AfriCom arbeitenden IT-, Beratungs- und Baufirmen in den Industriegebieten am Rande schwäbischer Dörfer und Kleinstädte.
Wer militärische Landschaften als solche zu Fuß oder mit dem Rad erkundet, wird in ein anderes Verhältnis zu einer ansonsten vielleicht ganz vetrauten oder unauffälligen Umgebung versetzt. Der Blick schärft sich für Eisentore, die in Berge führen, für Lüftungsschächte und mittlerweile überwachsene Schneisen, die noch von der Verlegung von Pipelines und Datenkabeln zeugen. Während man das Gefühl hat, moderne und vergangene Formen der Kriegführung besser zu verstehen, wird man mit Ängsten konfrontiert, wenn am Zaun eines Geländes plötzlich Jäger mit Gewehren auftauchen. Der ansonsten friedlich und verlassene Wald wirkt auf einmal bedrohlich - bis wieder eine Familie ganz entspannt den direkt angrenzenden Radwanderweg entlangfährt.